[Hessen] Der Landesbetrieb Hessen-Forst plant lt. Pressemeldung des NABU, den Naturschutzbeirat aufzulösen. Damit entfielen für Naturschutzverbände wichtige Beteiligungs- und Informationsrechte, darunter der Zugang zu Forstbetriebskarten, aus denen Alter und Baumarten der Waldbestände hervorgehen. Kritiker sehen darin bewusste Intransparenz und eine Einladung zu rücksichtsloser Holznutzung. Mit den neuen Bewirtschaftungsstandards würden alte Konflikte zwischen Forstwirtschaft und Naturschutz, die seit 15 Jahren als befriedet galten, unnötig neu entfacht.
Der Naturschutzbeirat aus unabhängigen Fachleuten und Vertreterinnen von Naturschutzverbänden hatte bislang die Aufgabe, forstliche Planungen kritisch zu begleiten, fachliche Empfehlungen zu geben und Einblick in wichtige Unterlagen zu nehmen. Kritiker sprechen nun von „Freie Fahrt für Harvester“.
Im Spannungsfeld: Flächenkonkurrenz
Landwirtschaft, Forst, Naturschutz und oft auch Tourismus beanspruchen dieselben Räume – mit unterschiedlichen Prioritäten. Während Forst- und Landwirtschaft wirtschaftliche Interessen verfolgen und auf Erträge angewiesen sind, fordert der Naturschutz den Erhalt alter, strukturreicher Wälder, den Schutz von Artenvielfalt und die Sicherung ökologischer Funktionen wie Wasserspeicherung und Klimaschutz.
Fachleute empfehlen daher einen dauerhaften Dialog auf Augenhöhe, gemeinsame Projekte (z. B. Vertragsnaturschutz, Agroforstsysteme), finanzielle Anreize für naturschonende Bewirtschaftung und klare gesetzliche Rahmenbedingungen.
Pressemeldung des NABU Hessen dazu vom 15.09.2025
Land Hessen will 440.000 Habitatbäume fällen
Der NABU Hessen wirft der hessischen Landesregierung Wortbruch beim Naturschutz im Wald vor. Trotz gegenteiliger Beteuerungen sollen nun die Standards in der Naturschutzleitlinie Wald drastisch gesenkt werden.
„Zwei Jahre nach der Landtagswahl setzt die neue Landesregierung die Kettensäge an die Naturschutzregelungen im landeseigenen Staatswald an“ so Maik Sommerhage, Landesvorsitzender des NABU. Dies sei ein „eklatanter Wortbruch“, denn noch vor einem Jahr haben Abgeordnete von CDU und SPD mehrfach im Landtag versprochen, dass die Naturschutzstandards der Forstbewirtschaftung beibehalten würden.
Besonders eklatant ist der Plan, die Anzahl der ökologisch wichtigen „Habitatbäume“ stark zu verringern. Habitatbäume sind meist alte Bäume, an denen gefährdete Tiere wie Spechte, Fledermäuse, Haselmäuse oder Käfer leben, oder krumme, gegabelte Bäume, die wirtschaftlich wenig Wert haben, aber zukünftig Heimat vieler Arten sein können.
Die Naturschutzleitlinie für die Bewirtschaftung des Staatswaldes schreibt seit 2022 den Erhalt von 10 solcher Habitatbäume pro Hektar in über 100jährigen Laubwaldbeständen vor, in europäischen Schutzgebieten 15. Diese Zahl soll nun auf nur 5 Bäume pro Hektar reduziert werden. „Damit werden auf einen Schlag über 440.000 Habitatbäume zum Einschlag freigegeben, die Tiere verlieren ihr Zuhause“, klagt Sommerhage an.
Dramatische Wald-Entwertung
Mark Harthun, Waldexperte beim NABU, ist entsetzt über die bevorstehende Entwertung hessischer Wälder. Seit Jahrzehnten wende sich die Forstwirtschaft gegen Schutzgebiete im Wald mit dem Argument, sie würde mit Habitatbäumen „integrierten Naturschutz“ betreiben. Und nun sollten sie im großen Stil gefällt werden. Das bestätige die Befürchtung der Naturschützer, dass „integrierter Naturschutz“ im Forst unzuverlässig sei und nur Schutzgebiete wirklich schützen.
Der NABU sieht darin eine „dramatische Entwertung“ der Wälder. „Mit den Habitatbäumen werden die Keimzellen der Artenvielfalt in den Wäldern beseitigt“, so Harthun. Die im Koalitionsvertrag angekündigte „Mobilisierung der Holzvorräte“ für eine „ausreichende Rohstoffversorgung der hessischen Sägewerke“ käme so einer Plünderung der Naturschätze gleich. Betroffen sind ein Drittel (38%) des hessischen Waldes, das sich im Landeseigentum befindet.
Falsches Versprechen bei FSC-Ausstieg
Vor einem Jahr gab es bereits eine hitzige Debatte, als das Land aus der „FSC“-Zertifizierung ausstieg. Bis dahin war die Einhaltung einiger Naturschutzstandards extern kontrolliert worden.
Die Landtagsfraktionen von CDU und SPD beschlossen im Mai 2024 eine Evaluierung der FSC-Zertifizierung unter der Voraussetzung, „dass für den Zeitraum des Moratoriums weiterhin ein hoher Umwelt-, Sozial und Naturschutzstandard in der Bewirtschaftung des Staatswaldes (…) sichergestellt wird und die weiteren, bisher geltenden Richtlinien für die Bewirtschaftung des Staatswaldes Anwendung finden.“
Auch Umweltminister Ingmar Jung versicherte damals, „dass durch das Ruhen der FSC-Zertifizierung keine Verschlechterung des Naturschutzes im Wald zu erwarten ist.“ Er versprach „Die (…) Naturschutzleitlinie (gilt) auch während des FSC-Moratoriums fort.“ Trotzdem wurde nun ein Entwurf für eine neue Naturschutzleitlinie für den Staatswald mit dramatischen Verschlechterungen für den Naturschutz vorgelegt. Den Vorwurf des Wortbruchs richtet der NABU auch an die SPD als Regierungspartner.
Auch der Abgeordnete Alexander Hofmann (SPD) hatte im Landtag vehement versprochen „Die geltenden Richtlinien, die wir sonst haben – übrigens auch ein weiteres Zertifikat, nämlich PEFC –, bleiben erhalten“ und dass das FSC-Moratorium „ausdrücklich nicht dazu (führte), dass der Naturschutz in den hessischen Staatsforsten abgebaut werde“. Es sei erschütternd für die Demokratie, wenn Bevölkerung und Parlamentarier derart mit Falschaussagen getäuscht werden, so der NABU.
Weitere Verschlechterungen für den Wald
Neben dem Verlust der Habitatbäume soll die Neufassung der Naturschutzleitlinie noch zahlreiche weitere Verschlechterungen für den Naturschutz enthalten: Das „Tafelsilber“ des hessischen Waldes, die Naturwälder-Naturschutzgebiete, sollen künftig nicht mehr nutzungsfrei sein, stattdessen sollen künftig „steuernde Maßnahmen“ möglich sein, wie auch die Jagdverpachtung an Private, die Baumfällung für Jagdschneisen, die Baumfällung zur Anlage von Rückegassen, mehr Baumfällungen zur Verkehrssicherung und die Fällung von Fichten in einer Zone von 500 Meter vom Rand.
In Europäischen Schutzgebieten wird ein Einschlagsverzicht in alten Laubwäldern aufgehoben. Es soll dort auch keinen Verzicht auf kahlschlag-ähnliche „Schirmschläge“ mehr geben.
Der problematische Geist der neuen Naturschutzleitlinie werde besonders deutlich bei der Aufhebung des Schutzes der wenigen noch vorhandenen alten dicken „Methusalembäume“ in den Wäldern: Bisher mussten alle Bäume mit einem Durchmesser von über 1 Meter erhalten werden, künftig nur noch „ausgewählte“.
Weiterhin wurde eine Nutzungsoption neu geschaffen. So heißt es nun: „Im Sinne einer weiterhin gewünschten Holzbereitstellung für hochwertige Verwendungen können einzelne Exemplare weiterhin genutzt werden, wenn das Erdstammstück besonders gute Qualitäten (Güteklasse A oder B nach RVR) erwarten lässt". Dies mache das ganze Methusalembaum-Konzept hinfällig.
Holzeinschlag auch im Sommer möglich
Holzeinschlag mitten im Sommer soll künftig nicht mehr unterlassen, sondern nur noch vermieden werden, Holzrückung darf künftig auch im Sommer sogar in Schutzgebieten erfolgen.
Bei Neupflanzungen soll künftig nur noch „ein angemessener Anteil“ der vorgesehenen 4 bis 5 standortgerechten Baumarten heimisch sein, ansonsten setzt der Forst auf Douglasien, Roteichen, Küstentannen oder andere nicht angepasste Arten von anderen Kontinenten.
Das Ziel zum Erhalt und zur Förderung von artenreichen Pionierwäldern und blütenreichen Schlagfluren bei der neuen Waldentwicklung wurde komplett gestrichen. Sie sind besonders für Schmetterlinge wichtig.
Das Gebot der „größtmöglichen Schonung des Waldbodens gegenüber mechanischen Störungen“ auch aus Sicht des Klimaschutzes wurde gestrichen. Trotz Trockenschäden im Wald soll künftig nicht mehr „stets die Möglichkeit zum Rückbau von Entwässerungssystemen im Wald und das Schließen von Gräben“ geprüft werden, obwohl auch das Jahr 2025 wieder sehr trocken war.
„Dies sind alles Maßnahmen, die einer Anpassung an den Klimawandel zuwiderlaufen“, so Harthun. Gerade die uralten Bäume sind für die Anpassung wichtig, weil sie verschiedenste Witterungsbedingungen erlebt haben und diese Erfahrung über ihre Samen an die neue Baumgeneration weitergeben könnten.
„Vermehren sollten sich die vitalsten, ältesten Bäume, die bewiesen haben, dass sie gut angepasst sind“, so der NABU. Ihre Fällung vernichte das „Gedächtnis des Waldes“.
Quelle Text: NABU
Zusammenstellung: Brigitta Möllermann, HESSENMAGAZIN.de