Die Tradition des Bieres

Donnerstag, den 17. März 2011 um 21:13 Uhr Das leibliche Wohl - Wein, Bier & Getränke - kühl oder heiß
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450 Jahre Reinheitsgebot - Briefmarke der Deutschen BundespostSchon zu Zeiten der Sumerer war der "Gerstensaft" Bier bekannt. Auch in vorchristlichen Kulturen in Rom, Griechenland oder Germanien genoss man Bier bereits als Getränk. Im Mittelalter pflegten die Menschen sich ihr eigenes Dünnbier zu brauen, das oft trinkbarer war als Wasser, welches nicht selten zusätzlich zum Wäschewaschen herhalten musste. Bier galt als Nahrungsmittel, wo hinein auch Kinder ihr Brot brockten. Seine Herstellung war, genau so wie Kochen und Backen, in manchen Regionen bis ins 18. Jahrhundert Aufgabe der Frauen im Haus.

1516 wurde in Bayern ein offizielles Reinheitsgebot erlassen. Es sollte sicherstellen, dass Bier nicht mit Zusatzstoffen und (pflanzlichen) Drogen versetzt wurde, sondern nur Wasser, Hopfen und Malz (aus Gerste) enthielt. Weizen und Roggen waren zu jener Zeit wertvolle Getreide und reserviert zum Brot backen. Vom schnell wachsenden Hopfen, einem Hanfgewächs mit beruhigender und konservierender Wirkung, fanden die Dolden (Ähren) beim Brauen Verwendung. Auch die Mikroorganismen der Hefe wurden benutzt. Doch unter den Zutaten zählte man diesen so genannten "Hepffen" erst 1551 mit auf.

Hefepilze: Winzige einzellige Organismen

Ohne die Hintergründe des chemischen Vorgangs zu kennen, wandelte die Hefe während des Gärvorgangs den in der Flüssigkeit enthaltenen Malzzucker in Alkohol (Ethanol) sowie das Gas Kohlendioxid zu Kohlensäure um. Bewusst wurden Hefepilzkulturen allerdings rund 100 Jahre später zugesetzt. Zuvor war es reine Glückssache, wenn der Versuch, Bier zu brauen, durch Gärung - wie auch immer - gelang. Erst 1870 fand Louis Pasteur den Grund der Wirkung heraus. Und durch seine zusätzliche Empfehlung, Sauberkeit bei der Bierherstellung walten zu lassen, wurde das Gebräu anschließend auch gar nicht mehr so oft sauer.

Braukessel (c) Erik-Christensen / WikimediaCommonsDen Kopf toll machende Kräuter

Die Zugabe weiterer berauschender und toxischer Zutaten wie Porst oder Bilsenkraut wurde im späten Mittelalter ebenfalls durch die Reinheitsverordnung verhindert. Auch sollten keine heidnischen Ritualpflanzen (giftige Tollkirschen, opiumhaltiger Schlafmohn, Muskatnuss - Gewürz und Droge - oder der verdauungsfördernde und entzündungshemmende Wermut) dem Bier mehr zugesetzt werden.

Der Standard gebrauten Bieres war in Norddeutschland schon länger ein sehr hoher gewesen. Jetzt holte das teilweise "untrinckliche saure Pier" der Süddeutschen, das oft hatte weggeschüttet werden müssen, nach und nach in der Güte auf. Nach dem Dreißigjährigen Krieg, in dem die Brauereien des Nordens und die Weinberge des Süden zerstört wurden, wandelte sich Bayern zum Bierland. Das dortige Alltagsgetränk Most wurde dabei nach den preiswerten Weinen aus Franken auf Rang drei verbannt.

Am Ende übernahmen das bayerische Reinheitsgebot - trotz mancher eigener Länderverordnungen - auch andere deutsche Staaten: Baden im Jahr 1896, Württemberg 1900, der Rest mit Norddeutschland fügte sich dazu im Jahr 1906. Schließlich wurde das Gebot sogar im Biersteuergesetz für ganz Deutschland verankert.

Dann verschaffte sich die Europäische Gemeinschaft (heute EU / Union) ein neues Recht

Seit 1987 ist der Verkauf von als Bier gekennzeichneten Getränken, die nicht dem deutschen Reinheitsgebot entsprechen, nach den neuen europäischen Richtlinien gestattet. Im Zuge einer so genannten "Harmonisierung" zwischen europäischen Ländern wurden Bierrezepturen auf ein niedriges Niveau heruntergestuft.

Dazu hat der gesellschaftliche Wandel mit seinen neuen "Trink-Moden" beigetragen. "Normales" Bier liegt nicht mehr wirklich im Trend. Der starke Wettbewerb mit anderen Getränkegattungen macht ihm auf dem Markt zu schaffen. Junge Leute bevorzugen heute eher Mixgetränke und interessante Drinks, die ihrem Lebensgefühl in eleganten Langhalsflaschen Rechnung tragen.

Kölsch (c) Trexer / WikimediaCommonsWer die Tradition hoch hält, verzichtet auf Chemikalien im deutschen Bier

Biere mit Zusatzstoffen sind laut Artikel 30 des EWG-Vertrages (untersagt eine Behinderung freien Warenverkehrs innerhalb der EU), inzwischen in ganz Europa zugelassen. Als Zugeständnis an das deutsche Reinheitsgebot sollen allerdings Abweichungen durch andere Stoffe in den Zutaten deutlich erkennbar auf dem Etikett der Flasche vermerkt werden. Deutsche Brauer sind in der Herstellung ihrer Exportbiere nicht mehr an das Reinheitsgebot gebunden.

Dazu kommt, dass eine weitere EU-Richtlinie zur Zulassung von Zusatzstoffen wie Farben, Süßstoffe, Mittel für Haltbarmachung etc. für Deutschland im Jahr 1998 vorgegeben wurde. Danach sind Konsistenz und Geschmack beeinflussende Hilfsmittel zugelassen. Sie unterstützen, beeinflussen oder verändern die Eigenschaften von Lebensmitteln: chemische Geschmacksverstärker, künstliche Konservierungsstoffe, Weich- und Hartmacher, Anlaufschutz, Rührfähigkeitshilfen, Stabilisatoren und allerlei Aromen.


Rettung ab 1992 durch drei Gütesiegel? (Stand 03/2011)

Belegt man die Einzigartigkeit eines "traditionellen Erzeugnisses" mit einem roten, blaugelben oder gelbblauen Aufkleber im Sinne des "Europäischen Herkunftsschutzes", soll einem Hersteller daraus ein Vorteil für das betriebliche Marketing erwachsen. Seit 2006 könnte er nun sogar mit dem Merkmal "Garantiert traditionelle Spezialität" werben.

Das weltberühmte Dortmunder, ein heller Biertyp und nicht so herb wie das Pilsener, hat die gleichnamige Stadt als größte Bierbrauer-Stadt Europas bekannt gemacht. Anerkannt ist der internationale Standard. Deswegen wohl hat man sich in dem umständlichen Verfahren der EU unterzogen und sich das Gütesiegel "Geschützte geografische Angabe (g.g.A.)" verpassen lassen. Damit werden Verbraucher jetzt informiert über die "Verbindung des Erzeugnisses mit dem Herkunftsgebiet".

Auf Antrag der Erzeuger wurden noch neun weitere Biere mit "spezifischen Eigenschaften" auf diese Weise dokumentiert. Sie müssen in der Region, die in der verwendeten Bezeichnung vorkommt, auch hergestellt werden: Kölsch, Münchner Bier, Bayerisches Bier, Kulmbacher Bier, Hofer, Bremer, Mainfranken, Reuther und Wernesgrüner Bier.

Verwirrender Siegel-Dschungel

Eine "Geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.)", die garantieren soll, dass "die Erzeugung, Verarbeitung und Herstellung eines Erzeugnisses in einem bestimmten geografischen Gebiet nach einem anerkannten und festgelegten Verfahren erfolgt ist", wurde bislang noch kein einziges Mal in der Produktklasse 2.1 Bier beantragt.

Das heißt, dem deutsches Bier wurde von der EU bisher noch gar nicht bescheinigt, dass es Merkmale aufweist, "die ausschließlich mit dem Gebiet und den Fähigkeiten der Erzeuger in der Herstellungsregion zusammenhängen und zwischen den Merkmalen des Produkts und seiner geografischen Herkunft ein objektiver enger Zusammenhang besteht".

Schutz und Förderung traditioneller und regionaler Lebensmittelerzeugnisse

Das dritte Gütesiegel "Garantiert traditionelle Spezialitäten (g.t.S.)" soll die traditionelle Zusammensetzung eines Produktes oder Herstellungs- und/oder Verarbeitungsverfahren hervorheben. Doch, man staune: auf der Internetseite des Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz erfährt man fast bedauernd: "Bisher gibt es keine deutschen Produkte, die in dieser Kategorie Schutz genießen." <-KLICK

Insgesamt haben sich nur 97 deutsche Erzeugnisse in der Zeit von 1996 bis März 2011 registrieren lassen. Darunter sind Hessischer Apfelwein und Handkäse. (Hinweis: Der Vorgang ist kostenpflichtig und nahm in beiden Fällen jeweils eine EU Bearbeitungszeit von mehr als drei Jahren in Anspruch!) Für das ganze europäische Unionsgebiet haben sich bis heute 1.298 europäische Produkte eintragen lassen. DOOR-Datenbank einsehen: HIER <-KLICK

Übrigens

Die o. g. Verordnung Nr. 2082/92 <-KLICK wurde im "Bemühen um Klarheit und Transparenz" aufgehoben und durch die Verordnung (EG) Nr. 509/2006 des Rates vom 20. März 2006 über die garantiert traditionellen Spezialitäten bei Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln ersetzt. <-KLICK

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