Der Komponist im Kuhhirtenturm

Samstag, den 26. März 2011 um 00:00 Uhr Freizeit & Tipps - Zeitgeschichte
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Erinnerungsstätte für Paul Hindemith in saniertem Frankfurter Wehrturm

Kuhhirtenturm (c) pia-Frankfurt[Frankfurt] Seit August 2010 hat die Stadt Frankfurt den gotischen Turm aus dem 14. Jahrhundert, der von 1923 bis 1927 die Frankfurter Bleibe des Komponisten Paul Hindemith war, aufwändig restauriert. Nun hat im Kuhhirtenturm die Schweizer Fondation Hindemith Blonay eine Kabinett-Ausstellung eingerichtet, die Dokumente zu Leben und Werk des Musikers präsentiert.

Mitten in Sachsenhausen liegt der Kuhhirtenturm. Um 1390 errichtet, zählt das historische Gebäude, das einst Teil der Sachsenhäuser Befestigungsanlagen war, zu den ältesten noch erhaltenen Bauwerken im Frankfurter Stadtgebiet. Bis vor kurzem wussten die wenigsten, dass der in Hanau geborene Komponist Paul Hindemith (1895-1963), der mit seiner Familie seit seinem zehnten Lebensjahr in Frankfurt lebte, so angetan war von seinem Charme, dass er den Turm 1923 zu seiner Wohnstätte umbauen ließ. Vier Jahre lang lebte Hindemith dort.

Konzerte unterm Dach

Das Hindemith Kabinett, das die Schweizer Fondation Hindemith Blonay erst Ende Februar im Frankfurter Kuhhirtenturm eröffnete, erlaubt auf drei Etagen eine  Annäherung an Leben und Wirken des von den Nationalsozialisten verfemten Komponisten und Musikers. Die eigentlichen Ausstellungsräume erstrecken sich über den ersten und zweiten Stock. Im dritten Stock wurde ein Konzertraum für kammermusikalische Abende eingerichtet. Die Räume sind winzig klein, haben niedrige Decken. Weiß ist das Holz der Dielen, weiß der Putz an den Wänden. Ein frisches Hellblau wählten die Gestalter des Frankfurter Architektenbüros Jo. Franzke aus, um die bedacht ausgewählten Schrift- und Fotodokumente passe-partout-ähnlich zu umrahmen.

Er komponierte sogar an der Front

An zwei Hör- und Videostationen können Besucher sich mit Hindemiths Biographie vertraut machen und seine Kompositionen anhören. Zahlreiche Reproduktionen erzählen von Hindemiths Lebensstationen. Von seiner Kindheit mit armen Eltern, die ihm dennoch Musikunterricht zu ermöglichen. Von seinen frühen Auftritten gemeinsam mit den Geschwistern als „Frankfurter Kindertrio“, das durch die schlesische Heimat des Vaters tingelte. Vom Engagement als Konzertmeister des Frankfurter Opernhauses und seinen Auftritten unter Größen wie dem legendären Wilhelm Furtwängler. Selbst an der Front komponierte Hindemith; im Skizzenbuch zum Zweiten Streichquartett op. 10 kann man bei genauem Hinsehen denn auch einen zerdrückten Floh entdecken. Für den Pianisten Paul Wittgenstein, Bruder des Philosophen Ludwig Wittgenstein, der im Krieg seinen rechten Arm verloren hatte, komponierte Hindemith eine Klaviermusik, die nur mit der linken Hand gespielt werden konnte. Mit dem Honorar finanzi
 erte Hindemith den Umbau des Kuhhirtenturms zur Wohnung.

Helle und dunkle Zeiten

Auch die 20er Jahre werden im Kuhhirtenturm lebendig, ein Jahrzehnt, in dem Hindemith auffallend viel schuf: Opern, Orchesterwerke, Chormusik, aber auch Kammermusik, Lieder und Stücke „für Kinder und Dilettanten“ sowie den bedeu-tenden Liederzyklus „Das Marienleben“ op. 27 für Sopran und Klavier nach Rilke-Gedichten. Das humorvolle Gesicht Hindemiths zeigen einige Fotos, Passbildschnappschüsse etwa, auf denen er mit seiner Frau Gertrud, der Enkelin des ehemaligen Frankfurter Oberbürgermeisters Franz Adickes, herumalbert oder ein Foto, das von ihm auf dem Geburtstag von Furtwängler aufgenommen wurde: in bayrischer Lederhose, auf dem Kopf eine Art Mitra, um den Hals ein verwegenes Tuch. Verfinstert hat sich Hindemiths Leben unter den Nationalsozialisten. Für Goebbels war er ein „atonaler Geräuschemacher“; die Propagandaausstellung „Entartete Musik“ nahm insbesondere sein Werk ins Visier. 1938 ging Paul Hindemith ins Exil, Stationen seines weiteren Lebens waren Ankara, wo er beim Aufbau des neuen Staatlichen Konservatoriums mitwirkte, New Haven in Connecticut und schließlich das schweizerische Bloney, wo die Hindemiths sehr zurückgezogen, fast schon scheu lebten.

Verfechter der einfachen Form

In einem wirklich winzig kleinen, zudem ungewohnt schmalen Nebenraum findet der Besucher Hindemiths Dirigentenstab, der in einer kleinen Vitrine seinen Soloauftritt hat. Darunter - in der wohl kleinsten Vitrine der Schau - Hindemiths Goethe-Plakette, die ihm die Stadt Frankfurt im Jahr 1956 verliehen hat. Auf dem Putz der Wand sind Hindemith-Zitate zu lesen. Auch eines, das seine Musikästhetik zusammenfasst: „Ein ernster Komponist“, heißt es da, „kann niemals den Wunsch haben, einen Gedanken absichtlich in einer komplizierten und unklaren statt in einer übersichtlichen und einfachen Form auszudrücken.“

Eisenbahn spielen mit Gottfried Benn

„Weil die Räume so klein sind, haben wir bis auf wenige Ausnahmen auf größere Exponate verzichtet“, sagt Susanne Schaal-Gotthardt, Leiterin des Frankfurter Hindemith Instituts, das von der Fondation Hindemith Blonay getragen wird und vor Ort das Kabinett betreut. Doch eines durfte ganz gewiss nicht fehlen: Paul Hindemiths Viola d’amore, jene Geige, die er mit den Gesichtszügen seiner Frau verzieren ließ. Und auch nicht die Modelleisenbahn, die Paul Hindemith durch seine ganze Wohnung fahren ließ, gemeinsam mit Freunden wie dem Schriftsteller Gottfried Benn.
 
Das Hindemith Kabinett im Kuhhirtenturm findet man in Frankfurt, Große Rittergasse 118. Die Öffnungszeiten sind sonntags von 11 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung.

Quelle: Frankfurt am Main (pia) Annette Wollenhaupt