Mit Biodiversität gegen den Artenschwund im Vogelsberggarten

Samstag, den 12. November 2016 um 00:00 Uhr Vogelsberger Natur - Vogelsbergarten Ulrichstein
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Interessierte Besucher beim Rundgang mit Richard Golle (c) Brigitta Möllermann[Ulrichstein / Vogelsberg] Im Vogelsberggarten auf dem Schlossberg in Ulrichstein blickt man auf eine erfolgreiche Saison zurück. Dort auf rund 600 Höhenmetern, wo man sich gegen die Problematik des Artenverlustes stemmt durch die Anlage von floristisch wertvollen Wildblumenbeeten, beweidetem Grünland, alten Obstbaumbeständen sowie einem extensiv bewirtschafteten Schutzacker, werden immer mehr Besucher gezählt. Das Interesse an dem sechs Hektar großen, Gelände wächst stetig.

Während des Sommers lud Richard Golle, der Geschäftsführer des Gartens, zu drei geführten Besichtigungsrundgängen und einigen Helferaktionen ein. Dabei konnte er nicht nur Begeisterung bei den Teilnehmern wecken, sondern auch fünf neue Paten und Patinnen gewinnen, die unter anderem die regelmäßige Pflege des Bauern- und Kräutergartens übernommen haben. Sie unterstützen außerdem die Arbeiten bei verschiedenen Projekten.

Vom Unkraut zum geschützten Ackerwildkraut

Rote Mohnblumen, blaue Kornblumen, weiße Kamille und andere blühende Pflanzen waren bis in die 1960er Jahre in jedem Getreidefeld zu finden. Aufgrund des Einsatzes von so genannten Pflanzenschutzmitteln und durch zu intensive Düngung in der Landwirtschaft ist diese bunte Vielfalt jedoch bis heute fast verschwunden. Viele der 150 deutschen Ackerkräuter oder auch Heilkräuter sind in Deutschland in ihrem Bestand bedroht. Dabei sorgen Adonisröschen, Lämmersalat und Sandmohn für einen Lebensraum, in dem Bienen, Schmetterlinge sowie viele andere Insekten gedeihen, nicht nur Pflanzen bestäuben sondern auch den heimischen Vögeln Nahrung bieten.

Am Rande des Flachsackers gedeihen auch ohne Dünger besondere Wildkraueter (c) Brigitta Möllermann
Am Rande des Flachsackers gedeihen auch ohne Dünger besondere Wildkraueter (c) Brigitta Möllermann

Hilfreich in dieser Angelegenheit waren bislang blühende Ackerrandstreifen und brachliegende Flächen. Ebenso dient seit einiger Zeit ein Netz von Schutzäckern, auf denen Pflanzenbau ohne Herbizide praktiziert wird, der Wiederausbreitung der Arten. Zu den "100 Äckern für die Vielfalt" gehört auch der 1.300 Quadratmeter große Bauernacker des Vogelsberggartens, wo sich die Stadt Ulrichstein, der Naturpark Vulkanregion Vogelsberg und der Verein der Freunde und Förderer des Vogelsberggartens gemeinsam um den Erhalt von Roggen-Trespe, Ackerlöwenmaul & Co. bemühen.

Hort der Biodiversität mit Besonderheiten der heimischen Pflanzenwelt

Im Rahmen der Biodiversitätsstrategie des Landes Hessen soll im Vogelsberggarten die typische Flora der Vogelsberger Kulturlandschaft für die Nachwelt erhalten werden. Zu diesem Zweck wurde 2016 im späten Frühjahr auf dem Acker Flachs per Hand ausgesät, der als Habitat für langsam wachsende und selten gewordene Ackerkräuter gedacht ist.

Flachs war früher in der Landwirtschaft des Mittelgebirges eine Alternative zum Getreide. Er wurde nach der Ernte gesponnen, gewebt und zur Herstellung von Kleidung und Wäsche benötigt. Heutzutage gilt er als wertvolle ökologische Naturfaser.

Flachsernte im August: Viele Helfer kamen zu dem historischen Erntetag (c) Brigitta Möllermann
Flachsernte im August: Viele Helfer kamen zu dem historischen Erntetag (c) Brigitta Möllermann

Was im Sommer auf dem Schlossberg blau blühte, reifte mit gelben Samenkapseln heran. Im August wurden die trocken gewordenen Stängel an zwei nostalgisch ausgerichteten Erntetagen von Helfern und Helferinnen samt Wurzeln ausgerupft, damit die die Fasern erhalten bleiben. Anschließend wurde die Ernte gebündelt und in Garben zum Trocknen aufgestellt.

Einige der Bündel wurden aufbewahrt für die Vorführung "Vom Flachs zum Leinen" beim Adventsmarkt im Ulrichsteiner Museum im Vorwerk. Die Flachsstrohbündel "kämmte" man mit einer Riffel, um die Samenkapseln abzutrennen. Entweder können die Körner als Saatgut verwendet werden oder auch zu hochwertigem Öl gepresst werden. Vor Publikum wurden dann die Stängel mit historischem Werkzeug gebrochen, daraus die hölzernen Anteile entfernt und die Fasern herausgelöst, um diese danach zu Fäden zu spinnen.

Genreserve für Habichtskraut, Wiesenblumen und Magerrasenpflanzen

Besonders stolz sind die Stadt, der Naturpark, der Förderverein und der Geschäftsführer des Vogelsberggartens darauf, dass das ganze Gelände am Ulrichsteiner Schlossberg zum Refugium der Artenvielfalt ernannt wurde. In einem finanziell geförderten Projekt werden in den nächsten fünf Jahren nicht nur stark gefährdete Ackerkräuter kultiviert, sondern auch seltene Pflanzen vermehrt, wie beispielsweise Arnika, Knabenkraut, Löffelkraut, Prachtnelke, Teufelskralle, Trollblumen, Türkenbundlilien und Zittergras.

Wie einst: Traditionell bewirtschafteter Bauernacker im Vogelsberggarten - 1300 Quadratmeter für die Vielfalt (c) Brigitta Möllermann
Wie einst: Traditionell bewirtschafteter Bauernacker im Vogelsberggarten - 1300 Quadratmeter für die Vielfalt (c) Brigitta Möllermann

Von 2016 an wurden jeweils 8.000 Euro Fördermittel pro Jahr im Rahmen der hessischen Biodiversitätsstrategie des Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUKLV) bewilligt. Die Zuschüsse werden in Zusammenarbeit mit der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises verwendet, um u. a. Hochbeete für geschützte Gräser, Kräuter und Blumen zu bauen. Hinzu kommt eine sechs mal acht Meter große Baumschule für seltene Baumarten. Die Pflanzenzöglinge von Wildbirne, Pflaume und Haferschlehe etc. werden erstmalig 2017 gesetzt. Auch ein Feuchtbiotop für Sumpfmauerpfeffer und weitere Pflanzen mit besonderen Ansprüchen soll noch angelegt werden.

Ernst Happel, der ehemalige Chef des Naturparks, der als "Vater" des Vogelsberggartens in Ulrichstein gilt, ist immer noch als Berater und Unterstützer mit im Boot. Unter anderem begeistert er sich persönlich dafür, besondere Pflanzen aus regionalen Samen heranzuziehen, die dann nach und nach einen passenden Platz auf dem Schlossberg-Gelände finden.

Quelle: Brigitta Möllermann