Hessische Boomtowns: Aus Bequemlichkeit wird Enge

Samstag, den 05. März 2016 um 00:00 Uhr Gut zu wissen - Lifestyle
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Sanftes Morgenrot über den Dächern der Stadt Hanau (c) HESSENMAGAZIN.de
Sanftes Morgenrot über den Dächern der Stadt Hanau (c) HESSENMAGAZIN.de

[Hessen - Deutschland] Das hatten wir alles schon einmal. Damals, als der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) noch nicht erfunden war, wollte gerne jeder nahe am Arbeitsplatz wohnen und nicht morgens kilometerweit reiten, stundenlang auf dem Ochsenkarren fahren oder einen halben Tag laufen. Heutzutage ist es in der modernen Zeit vielleicht nicht ganz so unbequem, aber ebenfalls nervig und unerquicklich, in der Frühe kilometerweit im Stop and Go Kriechgang zu reisen und abends mit allen anderen nacheinander zuckelnd wieder heimzurollen. Also sucht man sich eine Wohnung in der Stadt, trotzdem es den öffentlichen Nahverkehr inzwischen gibt.

Der ÖPNV ist nämlich längst nicht mehr das, als was er einmal gedacht war. Weil viele Leute sich immer mehr Autos anschafften, wurden die Busse und Züge immer leerer. Der schlaue Staat, der die Reichs- und Bundesbahn in Aktienanteilen an sich selbst (die Bundesrepublik Deutschland) verkauft hatte, begann jetzt als neu entstandener Staatskonzern möglichst wirtschaftlich zu arbeiten. Als erstes wurden Strecken stillgelegt.

Die Menschheit nahm es hin und stieg auf noch mehr Autos um. Das in den 1950er Jahren gegründete Hessische Landesamt für Straßenbau bekam nun ordentlich zu tun. Es zog eine Asphaltbahn nach der anderen quer durchs Land. Folge: Auf den mehrspurigen Autobahnen kam man (anfangs) noch schneller von A nach B.

Und wie es so ist mit ungebremstem Wachstum: Irgendwann droht der Kollaps. Also zieht man in eine "verkehrsgünstige" Bleibe in der Stadt um. Dann können die ersten vernünftigen Bürger aufs Fahrrad und E-Bike umsteigen oder mit der U-Bahn fahren. Das gilt für Studenten genauso wie für Familien, die ihren Ernährer gerne noch vor der Tagesschau zu Hause haben wollen. Und erst recht für die ältere Generation, die etwas bequemer geworden ist.

Die Misere beginnt von vorne: Aktuell wird nicht nur Wohnraum knapp

Irgendwann aber kommt der Tag, da wünscht sich jeder Stadtbewohner Flüster-Asphalt und Nacht-Flugverbot, damit er schlafen kann. Im Sommer, an Tagen über 30 Grad brummt stundenlang im trauten Heim in der ständig stickigen Stadt die Klimaanlage. Am dann auch nicht mehr kühlen Baggersee sind um 10 Uhr morgens schon alle Parkplätze belegt. Und für eine tolle Veranstaltung bekommt man am zweiten Tag nach ihrer Bekanntgabe schon keine Karten mehr. An den beliebtesten Geräten im Fitnessstudio oder hinter der Rutsche auf dem Spielplatz bilden sich immerzu Warteschlangen. Bei einem Picknick im Park ist man nie alleine. Der Besuch von außerhalb cruist mit seinem PKW auf Parkplatzsuche eine Stunde durch unser Stadtviertel.

Und so weiter...

Stadtplaner reden von Verdichtung und wollen hoch hinaus

Entwickler und Planer beschäftigen sich im Hinblick auf unsere Zukunft mit SWOT (strengths, weakness, opportunities and threats) = Stärken-Schwächen-Chancen-Risiken Analysen, um nicht die gleichen Fehler wie anno dazumal zu machen. Immerhin kann man nun Computer zur Berechnung heranziehen.

Von Darmstadt z. B. weiß man, dass die Stadt zu den am stärksten wachsenden Boomtowns gehört, da der Zuzug immens ist. Doch Fläche kommt nicht dazu, also stockt man auf und "verdichtet". Wobei man sich auch den Kopf über Flächenkonkurrenz (Gewerbe ./. Wohnungsbau) zerbrechen muss. Masterpläne für die urbane Zukunft sehen manche Visionen im Stadtkern vor, von denen man nicht wissen kann, ob sie realisierbar bzw. auf Dauer menschengerecht umsetzbar sind.

Dorferneuerung war einmal. Nun sind die Wirtschaftszentren dran

Ach ja, haben wir schon über Baulärm, Smog - schlechte Luft und solcherlei nachgedacht?

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