Nur noch einer fragte am Ende nach seinem Gemütszustand

Donnerstag, den 18. Mai 2023 um 06:03 Uhr HanauOnline - Gottlieb - Was noch zu sagen ist...
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Fotoserie aus dem Automat: Günter Gottlieb in seinen 30ern (c) Privat

[Hanau] Als meine Familie Günter Gottlieb kennenlernte, war er "bivi". Also bis vierzig, means: ein paar 30 Jahre alt und zeigte sich wie hier auf den Fotos als munterer, alleinstehender, etwas aus der Form geratener noch junger Mann, der zu allerlei Blödsinn aufgelegt war. Mag sein, dass dazu auch sein gewisses Maß an Alkoholkonsum beitrug. Fakt war, er hatte Spaß daran, öffentlich Kino-Filme vorzuführen und mit Freunden kleine Weinfeste im Hinterhaus zu inszenieren.

Für einen nine-to-five-Job war er seiner Meinung nach nicht geschaffen. Da er Kunst (und so) studiert hatte, machte er sich nach dem Studium daran, die Geschäftswelt als Verleger zu erobern. Diese anfänglich extrem hochtrabenden Pläne musste er allerdings nach einer Weile wieder stoppen: Seine Zweimannklitsche als Verlagsanstalt zu bezeichnen, wurde ihm offiziell untersagt. Und mit seinem Partner hatte er sich bald darauf auch schon wieder entzweit.

Streiten konnte er gut. Ich habe mich u. a. davon beim Sichten seiner Nachlassunterlagen überzeugen können: Unzählige Rechtsanwaltbriefe aus vergangenen Jahren werden jetzt geschreddert. Doch davon ein anderesmal mehr...


Aussortiert: Gebrauchte Aktenordner für allerlei Papier (c) HESSENMAGAZIN.de

Was mir auffiel, wenn Leute in der allerletzten Zeit in seine Wohnung kamen, die ich ein ganzes Jahr lang akribisch durchforstete, um das von ihm angehäufte Wirrwar zu sortieren: Niemand fragte sich, wie er darin gelebt (gehaust) hatte.

Bis auf einen, der sagte vor wenigen Tagen: "Es muss doch bedrückend gewesen sein, abends hierher nach Hause zu kommen!" Tja, das ist kaum zu begreifen: Denn wenn Günni Gottlieb seine chaotische Wohnung verließ, war er anständig gekleidet, ordentlich gekämmt und benahm sich in den letzten Jahren sogar fast schon spießig. Seine privaten Probleme hat er nicht nach außen getragen.

Allerdings habe ich vieles geahnt und deswegen als gute alte Freundin beim Aufräumen seines Nachlasses genau hingesehen. Und zum Unbehagen einiger habe ich mich standhaft geweigert, den Ratschlagen gutmeinender Zeitgenossen zu folgen, alles "einfach in die Tonne zu kloppen".

Letztendlich habe ich so noch ein Stück seines Lebens "eingefangen" in Bildern, Briefen und - leider sogar - in Steuerunterlagen. Das wird gut verwahrt, bis ich Ihnen / Euch davon erzähle :-)

Quelle: Brigitta Möllermann, HESSENMAGAZIN.de