Worauf frau gern verzichtet hätte: Zimmer mit Aussicht

Freitag, den 20. April 2012 um 00:00 Uhr Gut zu wissen - Neues aus der Redaktion (bm)
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Über Hanau: Blick aus dem 10. Stock in Richtung Spessart (c) HESSENMAGAZIN.de
Über Hanau: Blick aus dem 10. Stock in Richtung Spessart in der Woche nach Ostern 2012 (c) HESSENMAGAZIN.de

Vier Tage lang hätte Brigitta Möllermann, (bm) vom HESSENMAGAZIN, diese "erhabene" Aussicht in Hanau genießen können, wenn sie nicht genau da auf der chirurgischen Abteilung in einem Krankenbett gelegen hätte. Nach einem Sturz auf harten Asphalt war sie am Ostermontag mit mehrfach gebrochenem Arm / Ellenbogen im städtischem Klinikum in Hanau aufgenommen worden. "Das bringt mich ins Grübeln", berichtet sie nach ihrer Entlassung.

Erfahrungen, auf die frau eigentlich gar nicht braucht

(bm): Viele Jahre lang habe ich keine Krankenhaus-Station von innen sehen müssen. Auf diese Weise konnte ich unvoreingenommen neue Erfahrungen machen.

Die meisten der traditionellen Regularien haben überdauert. Der Patient, der erst einmal flach auf einem Krankenbett liegt, gerät in die altbekannte Gesundmach-Maschinerie. Kunde ist man hier nur sehr bedingt. "Hat der Arzt so angeordnet" steht weit über jedem menschlichen Willen und ganz besonders vor einem eventuellen "Sonderwunsch".

Heimstatt für vier Tage: Klinikflur (c) HESSENMAGAZIN.de
Heimstatt für vier Tage: Blick in die Station aus dem Klinikflur (c) HESSENMAGAZIN.de

Es liegt im System, nicht etwa an der Motivation der Behandler. Junge Schwestern und Ärzte sind auch heute noch mit Überzeugung dabei. Doch ihnen bleibt kein Spielraum, um auf die Patienten einzugehen. Zeit ist Mangelware, wenn z. B. (wie in meinem Dreibettzimmer) zwei verwirrte bzw. demente über 80-jährige Frauen vollumfänglich mitversorgt werden müssen. Die eine schrie gellend um Hilfe, wenn sie etwas fordernd angegangen wurde ("Sie kriegen jetzt eine...xxx"), die andere hielt mich für eine "Schwester" und teilte mir unablässig ihre Befindlichkeiten mit. Ich wäre auf der Stelle gegangen, wenn ich gekonnt hätte. Aber so etwas ist nicht wirklich umzusetzen, wenn frau eben operiert wurde.

Helfer, die schnell mal etwas Vergessenes oder Benötigtes herbeischaffen, gibt es zu wenig. So wartet man schon mal zwei Stunden auf ein frisches Kühl-Pad für den Arm, während dieser zu einer bedrohlich rotblauen dicken heißen Wurst anschwillt. Wagt frau sich schließlich selbst wankend auf den Flur zum Schwesternzimmer und "stört" mit "Nörgelei", droht sich die mühselig aufrecht erhaltene Geduld plötzlich in einem lautstarken Disput aufzulösen.

Kraftwerk Staudinger, die 'Wolkenfabrik' bei Hanau (c) HESSENMAGAZIN.de
Ragt über alles hinaus: Kraftwerk Staudinger, die 'Wolkenfabrik' bei Hanau (c) HESSENMAGAZIN.de

Schiedsrichter ist letztendlich der Doktor. Der allerdings startet morgens um sieben mit der Visite, ist danach als Notarzt im Einsatz oder er operiert. Dann darf er abends, bevor er heimgeht, noch wichtige Anordnungen treffen sowie in die Patientenakten hineinschauen, um schnell noch die aufgeregt wartenden Kranken über ihre Untersuchungsergebnisse zu informieren. Ist es da verwunderlich, dass junge Mediziner sich nicht mehr gerne für solche Jobs entscheiden?

Pimp Your Hospital: Theorie und Wirklichkeit klaffen weit auseinander

Auf der Internetseite des Klinikums <-KLICK steht vieles nachzulesen, das praktisch nicht erfüllt wird. Einfach, weil es nicht umsetzbar ist - schon gar nicht bei einem Notfallpatienten wie mir. Verträgt jemand keinen Gips, muss für die Ruhestellung bis zur Operation am nächsten Spätnachmittag vielleicht als Übergangslösung ein "Gilch-Rist" her. Prima, wenn da jemand ein bisschen Zeit hat, kreativ mitzudenken.

Gilchrist - Verband für Schlüsselbeinbrüche (c) HESSENMAGAZIN.de
Ist jetzt meiner: Gilchrist, ein Verband für Schlüsselbeinbrüche - Zuzahlungsrechnung kam umgehend, war leider nicht angekündigt (c) HESSENMAGAZIN.de

Ich würde mir wünschen, dass alle für die Öffentlickeitsarbeit gut ausdachten Service-Ansätze passend zur lebendigen Realität getuned und optimiert würden. Zudem wäre es dem Verständnis der Marketingleute der Klinik dienlich, wenn sie - anstatt hübsche Prospekte und nette Homepageinhalte zu gestalten - einmal eine Woche lang "Stationsdienst" leisten und sich die Abläufe von der Nähe betrachten würden.

Sie sollten auch hin und wieder am Essen teilnehmen. Das kommt vollends ohne Vitalstoffe aus. Aufbauarbeit für den Körper leisten billiges Scheibenbrot, Marmelade im Alupack und undefinierbarer Käse, wenn man wie ich weder Geschmacksverstärker noch Süß-Stoffe und schon gar keine Farbstoffe zu sich nehmen möchte. Frisches Obst habe ich an keinem Tag meines Aufenthaltes bekommen. Dafür aber eine Pflanzencreme zum Abendbrot, in deren 25 Gramm sich so viele Zusatzstoffe befanden, dass ich sie lieber fotografierte als sie zu essen.


Pflanzencreme von Wilx - Foto (bm) HESSENMAGAZIN.de - KLICK zum Vergößern!
Pflanzencreme von Wilx - Foto (bm) HESSENMAGAZIN.de - KLICK zum Vergößern!

Anstelle von unbehandeltem Obst servierte man mir als "Zwischenmahlzeit" zwei Kalium-Brausetabletten. Eine Banane, ein Glas guter Saft, ein paar Nüsse oder ein Salat hätten den eventuellen Mangel auch behoben: Mehr Infos <-KLICK

Am abendlichen Horizont: Mainhattan - Frankfurts Wolkenkratzer (c) HESSENMAGAZIN.de
Am abendlichen Horizont: Mainhattan - Frankfurts Wolkenkratzer von Hanau aus gesehen (c) HESSENMAGAZIN.de

Als Schmerztherapie (kaputte Knochen brauchen die) gab es Novalgin und Paracetamol. Und gegen deren Nebenwirkungen (machen den Magen kaputt) wurde einmal pro Tag mit Omep 20 (kriegen sogar Schwangere) gegengesteuert. Das sollte laut verabreichender Schwester alles wieder bestens ins Lot bringen. Mein "Nein danke" wollte nicht akzeptiert werden - obwohl der Hersteller des Medikaments selbst auch andere Methoden empfiehlt: HIER <-KLICK und uns beim Studieren der Inhaltsstoffe <-KLICK in der Apotheken-Umschau der Glauben an die hilfreiche Chemie definitiv verlässt.

Basischer Fitmacher: Mein heimisches Frühstück (c) HESSENMAGAZIN.de
Basischer Fitmacher: Mein heimisches Frühstück (c) HESSENMAGAZIN.de

Arztbrief: Beschwerdefrei entlassen - trotzdem und irgendwie

Sie haben mich wirklich TOLL wieder zusammengeflickt. Die Mehrfachfahrten mit Aufzügen und durch endlose Tunnelgänge zusammen mit dem den netten Leuten vom Begleitservice waren sogar richtig abwechslungsreich. Röntgen ging ja nicht, das stellte man aber leider erst nach der Aufnahme fest. Auch die Computertomografie musste lediglich zweimal wiederholt werden, bis man wusste, wie der Bruch aussieht. Schade, dass man mir trotz meiner angegebenen Unverträglichkeit doch Morphium nach der Operation gespritzt hat. Aber da war mir es dann nach 24 Stunden voller Höllenschmerzen letztendlich auch schnuppe.

Wieder zu Hause: Mein mehrfach gebrochener Unterarm ist jetzt mit einer Metall-Platte ganz elegant von innen geschient, außen klebt lediglich ein langes Pflaster drauf. Schauten mein Arm und meine linke Hand nicht aus wie die eines fetten roten Buddhas, würde man mir mein "Erlebnis" kaum ansehen. Nach langen vier Tagen mit Waschbecken hinter dem Vorhang und Klo übern Gang kann ich sogar wieder ein bisschen zugreifen. Noch allerdings, ohne etwas festhalten zu können. Der Arm ist schmerzfrei kaum zu bewegen - und das bislang nur eingeschränkt.

Jede zweite Schmerztablette versuche ich wegzulassen, meinen Morgenrockärmel verwende ich in den nächsten Tagen einfach weiter als Eisbeutel-Etui. Druckstellen und Halzkratzen von der OP plus juckende Pusteln neben den Einstichstellen der Thrombose-Spritzen sowie weitere Verletzungen, wie die vom Asphalt hineingeschrammten "Löcher" in meinem Knie und das bös gestauchte rechte Handgelenk, kommen sicher ebenfalls nach und nach wieder in Ordnung. (Ob ich jedoch die verlorenen 4 kg Gewicht wieder haben möchte, überlege ich mir noch ;-)

Brigitta Möllermann, 15. April 2012

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